Fragen und Antworten zum Themenkomplex
"Ein neuer Stadtteil?"
Stadtentwicklung in "Salamitaktik": Bis vor kurzem stritt die Politik noch vehement ab, dass es überhaupt Erweiterungspläne gibt. Recherchen von Westfalenblatt und NW deckten aber auf, dass hinter verschlossenen Türen sehr wohl geplant wird. Zählt man die Flächen zusammen, kommt man auf mehr als 450 ha (die Erklärung der farbig umrandeten Gebiete findet sich ganz unten auf dieser Seite). Politiker reden von bis zu 30.000 neuen Einwohner*innen in den nächsten Jahren. Ist das realistisch? Wie soll der neue Stadtteil aussehen? Wie soll er erschlossen werden? Antworten auf diese Fragen gibt man uns nicht ...
Darstellung der Politik bis zum 18. Februar 2017
Die Statements von offizieller Seite waren: "Es geht nur um die Umsetzung eines Ratsbeschlusses zur Erschließung von Campus Nord und zur Festlegung der Trasse." "Es gibt keine Pläne zur Verlängerung der Linie 4 über die jetzt geplante Haltestelle Dürerstraße hinaus." "Es gibt aktuell keine Pläne zur Ausweisung von neuen Baugebieten zwischen Dornberg und Babenhausen."
Die ehemalige Bezirksbürgermeisterin Viehmeister (SPD) sprach bei der Infoveranstaltung am 1.2.2017 an der Grundschule Babenhausen sogar ein Diskussionsverbot über potenzielle Baugebiete aus. Lautstark versicherte sie, dass es keine solchen Pläne gebe. Der Vorwurf „Lügner“ stand im Raum. Sie kündigte an, vom WB eine Gegendarstellung zum Enthüllungsbericht vom 27. Januar 2017 zu verlangen.
Nur 17 Tage später war alles anders: Ihr Parteigenosse, der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses Georg Fortmeier berichtete in einem Zeitungsinterview von detaillierten Plänen (allerdings auf deutlich kleineren Flächen). Wie glaubwürdig das ist, mag jeder selbst entscheiden ...
Gibt es nun Pläne für ein neues "Stadtquartier"?
Schaut man sich die animierte Karte auf dieser Seite an, kann einem schwindelig werden. Die farbig markierten Bereiche sind die Flächen, um die es geht (Erklärung und Vergleich der farbig umrandeten Gebiete: ganz unten auf dieser Seite). Allen Dementis der Politiker:innen zum Trotz: Natürlich wurden in den nichtöffentlichen Teilen der Sitzungen von Rat und Bezirksversammlung Pläne zur "Erweiterung in die Fläche" geschmiedet. Mehrfach gelangten entsprechende Pläne an die Presse:
- "Perspektivbereich I/II" im Zwischenbericht "Wissenschaftsstadt Bielefeld" und Westfalenblatt vom 9.6.2016. Gesamtfläche: 350 ha.
- "Quartier am Hochschulcampus" in einem Bericht des Westfalenblatts vom 27.1.2017. Gesamtfläche: 120 ha (in Teilen weiter ausgedehnt als die "Perspektivbereiche").
Mittlerweile liegen uns fünf verschiedene Planungsskizzen vor, dies sich in Lage und Größe teils deutlich unterscheiden.
Ergänzung: Seit 2017 steht nun das neueste Diskussionspapier im Raum: ein Ortsteilentwicklungskonzept für Babenhausen und Dornberg, erstellt von einem Planungsbüro im Auftrag der BV Dornberg. Es kann in seiner Erstfassung hier und in seiner Weiterentwicklung hier heruntergeladen werden und wurde im Juni 2017 der Öffentlichkeit für einen Dialog vorgestellt. In diesem finden sich einige der o.g. Kartierungen wieder: es geht um die "Entwicklung", d.h. Bebauung außergewöhnlich großer Flächen des Stadtteiles in einem Ring von der Werther Straße bis zur Jöllenbecker Straße. Dass sich Dornberg entwickeln müsse, durfte laut der Bezirksbürgermeisterin gleich in der Einleitung der Veranstaltung in der Diskussion nicht in Frage gestellt werden.
Ist "Bielefeld-natürlich" gegen neue Wohnflächen?
Nein. Die Stadt Bielefeld darf und soll sich entwickeln und braucht dringend mehr Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringerem Einkommen. Dazu gehört auch die Ausweisung neuer Wohngebiete. Allein im Bielefelder Westen gibt es dazu aktuell mehrere Projekte in verschiedenen Planungsstadien, die von uns nicht kritisiert werden: Die Gebiete an Kampheide, Hollensiek, Grünewaldstraße, Stadtgärtnerei und Fürfeld gehören dazu.
Warum sind wir dann gegen den geplanten neuen Stadtteil?
Großflächige Erweiterungen dürfen nur nach einer ehrlichen und nachhaltigen Bedarfsanalyse angegangen werden. Von Investoren wie der NRW Bank kann man keine objektiven Zahlen erwarten.
Bedarfsanalyse bedeutet aber in Zeiten des Klimanotstandes zuallererst die Analyse, ob der vermutete Bedarf nicht intelligent ohne Zubauten gedeckt werden kann. Hier vermissen wir bei der Stadt Bielefeld die nötige Kreativität.
Und wenn schließlich wirklich ein Neubedarf existiert, sind zunächst Alternativen ohne Landschaftszerstörung zu nutzen: Nachnutzung, Verdichtung, Lückenbebauung, Aufstockung, intelligente bedarfsorientierte Konzepte. Einbeziehen der künftigen Bewohner:innen in Planung und Finanzierung macht Sinn (Bielefelder Modell, auch Wohnprojekte). Das Vorlegen eines tragfähigen Verkehrskonzeptes zur Erschließung (ÖPNV und MIV, sowie Radfahr- und Fußgängerverkehr) ist auch bei der ersten Planung essentiell. Einbezogen werden muss die Gesamtstadt. Es kann nicht sein, dass der gesamte prognostizierte Wohnbedarf der nächsten Jahrzehnte durch Dornberg/Babenhausen gedeckt wird, zumal ohnehin Schildesche und Mitte für die Menschen die attraktivsten Stadtteile sind (die NW berichtete). Aktuell wird Dornberg, wie anderen Stadtteilen auch, ein Bevölkerungsrückgang vorausgesagt.
Gebaut werden darf erst, wenn ein stimmiges gesamtstädtisches Konzept vorliegt. Die aktuell verfolgte „Salamitaktik“ ist inakzeptabel und keine plan- und sinnvolle Stadtentwicklung. Die Dornberger Bachauen einem Investor „zur Entwicklung“ zu geben, wäre katastrophal.
Die Dimensionen des Projektes
Die Perspektivbereiche I/II umfassen 350 ha. Die Gesamtpläne Babenhausen (WB, 27.1.2017) sprechen von 120 ha. Zum Vergleich: maximal sind auf dem „Campus Nord“ noch ca. 4 ha zu erschließen. Das Universitätshauptgebäude (15 Fakultäten und Arbeit und Lehre für 25.000 Menschen) steht auf einer Grundfläche von 6,2 ha! Die Wasserfläche des Obersees beträgt 20 ha.
Alleine der Vergleich der Flächen zeigt, dass das Argument, diese Flächen seien nötig für die Entwicklung zur Wissenschaftsstadt, nicht zieht. Die Flächen, die die Uni zur Erweiterung benötigen würde, spielen im Gesamtkonzept überhaupt keine Rolle. Hier liegen ganz andere Dimensionen vor: 120 ha bedeuten Platz für 2.400 freistehende Einfamilienhäuser und 10.000 Einwohner. Bei dichterer Bebauung (Reihenhäuser, Mehrfamilienhäuser, Geschossbau) auch wesentlich mehr. Und wenn wir die gesamte Fläche berücksichtigen, kommt man auf die Größenordnung einer Mittelstadt!
Natürlich ist uns klar, dass die jetzt diskutierten Flächen niemals vollständig bebaut werden. Natürlich wird man die engeren Bachtäler erhalten. Wir sehen aber aktuell gar keinen Bedarf für Baumaßnahmen in diesen Dimensionen. Wenn die Stadt das anders sieht, soll sie jetzt mit ehrlichen Prognosen und Plänen an die Öffentlichkeit gehen!
Gibt es überhaupt einen derartigen Bedarf an neuen Wohngebieten?
Genau diese Frage haben wir mehrfach Politikern gestellt und waren schockiert, wie ausweichend und schlecht informiert die Antworten waren. Fakt ist: Bielefeld wächst, die Leerstandsquote ist gering und neue Wohnungen gerade im Niedrigpreissegment werden benötigt. Wie hoch der Bevölkerungszuwachs ausfallen wird, kann abgeschätzt werden. Der landeseigene Betrieb "IT.NRW" prognostiziert in seiner offiziellen Analyse in der Basisvariante ein Bevölkerungswachstum um 2,4% bis zum Jahr 2040 (bezogen auf den Startwert von 2014). Dies entspricht einem Wachstum von knapp 7.800 Personen. Die aktuellen Zahlen vom 15.6.2020 (NW) sprechen von 5.678 Menschen in den nächsten 25 Jahren, also bis 2045 (und 2045 wären 20% der Bevölkerung zwischen 65 und 80 Jahre alt).
Fakt ist aber auch: in Bielefeld wird gebaut! Nach einem Pressebericht (NW, 21. April 2017) lag die Baugenehmigungsquote für Bielefeld im Jahr 2016 bei 53,3 Wohnungen pro 10.000 Einwohner. Ein besonderer Zuwachs wurde bei den "größeren Wohneinheiten" (Mehrfamilienhäuser) verzeichnet. Aktuell werden in Bielefeld 1.775 Wohnungen gebaut. Geht man von einer Belegungsquote von 2,3 aus, entsteht also aktuell bereits Wohnraum für mehr als 4.000 Menschen!
Diese Zahl bezieht sich im übrigen nur auf bereits genehmigte Projekte. Bereits genehmigte Baugebiete (Fürfeld, Grünewaldstraße), sowie geplante und voll erschlossene Areale (z.B. Hainteichstraße, aber auch in Altenhagen) wurde noch nicht mit berücksichtigt.
Fazit: In Bielefeld entstehen in den nächsten Jahren ausreichende Wohnungen, um den vollständigen prognostizierten Bedarf der nächsten 25 Jahre abzudecken!
Im Übrigen: der Grund dafür, dass nicht genug neue Wohnungen gebaut werden, ist deutschlandweit derselbe: aufgrund der Niedrigzinsen infolge der Bankenkrise 2008 hat einerseits die Spekulation mit Bauland (ohne dass gebaut wird) und Bestandsimmobilien drastisch zugenommen. Weil Geld seitdem aber auch massiv in Betongold mit dem Zweck der Vermietung angelegt wird, entsteht aber auch eine Bau- und Handwerkernachfrage, die in dieser Menge gar nicht bedient werden kann (Günter Vornholz, Prof. für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum: "Am Genehmigungsstau liegt es nicht: Geringer Wohnungsbau wegen fehlender Baukapazitäten und Bodenspekulation, FAZ 16.8.2019, S. 13).
Was sind die Konsequenzen?
Würden diese Pläne ganz oder in Teilen umgesetzt, würden der Bielefelder Westen und die Stadtentwicklung insgesamt nachhaltig verändert:
- Ein neuer Stadtteil entstünde auf der "grünen Wiese". Politiker sprechen von bis zu 30.000 Einwohner:innen.
- Eine einzigartige Landschaft würde unwiederbringlich zerstört.
- Ein solches Areal kann nicht nur mit der Stadtbahn erschlossen werden. Die Menge des Verkehrs wird im motorisierten Verkehr deutlich ansteigen. Das Ortsteilentwicklungskonzept rechnet beim jetzigen modal-split von bis zu 20.000 PKW-Fahrten/Tag und in diese Schätzung sind nicht einmal alle Neubaugebiete einbezogen. Neue Straßen werden gebaut und ausgebaut werden (Schloßhofstraße), um den Bezirk nach innen und nach außen anzubinden - auch im Zubringerbereich. Dieser Verkehr wird zusätzlich den Bielefelder Westen und die Innenstadt belasten.
- Mehrfache Hinweise des Oberbürgermeisters in der Presse lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass neben der Wohn- auch Gewerbebebauung geplant ist. Damit nähme die innerstädtische Verkehrsbelastung noch einmal zu.
Profitierte die Stadt nicht auch vom Verkauf der Grundstücke?
Wieder einmal geht um sehr viel Geld ... diesmal anscheinend aber für die Stadt. Werden 100 ha für die Wohnbebauung erschlossen und die Stadt verdient 100 €/qm (ein realistischer Wert), würde das 100 Millionen Euro in das Stadtsäckel spülen! Scheinbar also ein guter Weg aus der Schuldenfalle, aus der sich Bielefeld aktuell mühsam herausarbeitet!
Ob diese Rechnung so aufgeht, darf aber bezweifelt werden. Zunächst einmal müsste das Land aufgekauft werden ... und die Bauern sind da sehr zögerlich. Danach müssen die Erschließungskosten für die Infrastruktur aufgebracht werden (Straßen, Wasser, Strom, Gas, Spielplätze, Kindergärten, Schulen). Und auch die Kosten für den laufenden Betrieb und Instandhaltung der Infrastruktur müssen aufgebracht werden - dauerhaft! Dass diese Kosten erheblich und schwer aufzubringen sind, zeigt der beklagenswerte Zustand des existierenden Bielefelder Straßennetzes, der Kanäle und Schulinfrastruktur. Infrastruktur gibt es nicht umsonst!
Gibt es Alternativen?
Zunächst sollte versucht werden, einen etwaigen Bedarf durch Maßnahmen ohne Landschaftszerstörung zu decken: Nachnutzung, Verdichtung, Lückenbebauung und Aufstockung bieten noch ein erhebliches Potenzial! Die LEG startet ein Projekt zur Wohnraumumverteilung zugunsten aller: alte Menschen, denen ihre Wohnung zu groß wird, tauschen diese mit Familien, die genau diese Größe suchen - zu beiderseitigem Vorteil (die NW berichtete am 22.6.2017) - eine Idee, die wir der Politik ohne Resonanz seit mittlerweile Jahren vortragen. Warum kann die Stadt nicht dazu z.B. ein Förderprogramm von Anreizen auflegen? Ein Vorschlag, der übrigens auch von anderen in der Beratung zum Handlungsprogramm Klimaschutz der Stadt Bielefeld gemacht, aber nicht weiter verfolgt wurde. Dass es hierbei für Bielefeldum ein Potenzial von 300.000 qm(!) geht, zeigte die Studie "Neues Wohnen 2020" (NW, 11.6.2020).
Was ist mit dem Überbauen oder Aufstocken auf Flachdächern oder auf Garagenkomplexen, die einen erheblichen Anteil an städtischem Platz belegen? Der Trend zu Tiny-houses, also Minihäusern aus Holz, die nur geringen Platz benötigen und leicht sind, und z.B. für Studierende angeboten werden könnten, könnte man vielleicht mit solchen Aufstockungen kombinieren, was zugleich die Stadtflächen beleben würde.
Neuerdings hat die Stadt die Baulandstrategie beschlossen - u.E. ein guter Schritt. Trotzdem existieren eine Menge an ungenutzten Wohnungen und Häusern, die von den Erben und Eigentümer(gemeinschafte)n teilweise über Jahre nicht verkauft oder vermietet werden. Es ist die Frage, ob eine Stadt nicht auch auf solche Eigentümer Druck ausüben kann, dass diese Immobilien einer Nutzung zugeführt werden.
In den Niederlanden, z.B. Amsterdam werden Wohn- und Gewerbeflächen Interessierten zur günstigen Zwischennutzung überlassen, was diese gerne annehmen, auch wenn sie wissen, dass sie ggf. innerhalb weniger Wochen ausziehen müssen, wenn dann doch der Eigentümer eine andere Nutzung entscheidet.
Für alle diese Ideen muss die Stadtverwaltung aber werben, Kooperationen unterstützen und den Willen zur kreativen Gestaltung aufbringen - genauso die Bielefelder Politik. Das ist jedoch nicht in Sicht - in der Wohnungspolitik genauso wenig wie in der Verkehrspolitik. Dabei brauchen wir in beiden Bereichen eine Wende. Wieso muss in Bielefeld eigentlich eine Bürgerinitiative die Verantwortlichen zu solchem Handeln auffordern?
Wem gehören die Flächen, über die jetzt diskutiert wird?
Zum weitaus größten Teil befinden sich die Flächen im Besitz von Landwirten. Das Kalkül der Stadt ist offensichtlich: Wenn man nur ausreichend Geld bietet, wird jeder schwach. Das mag durchaus stimmen: realistisch würden für eine Parzelle von 10 ha Fläche bis zu 10 Mio. € fließen. Eine Menge Geld!
Ob sich die Landwirte wirklich darauf einlassen, steht natürlich auf einen anderen Blatt. Im Gegensatz zu Politikern, die allenfalls bis zum nächsten Wahltermin denken, planen Landwirte oft über Generationen. 10 Mio. € sofort hört sich unwiderstehlich an ... aber wenn das das Ende des eigenen Betriebes für immer bedeutet (Ausgleichsflächen gibt es nicht!), relativiert sich der Gewinn. Und aktuell verlangen Banken Strafzinsen für so ein Guthaben, während der Wert des Landes von Jahr zu Jahr steigt.
Aktuell hält sich die Begeisterung der Grundstücksbesitzer deshalb in Grenzen. Es wird spannend zu sehen, wie sich das in Zukunft entwickelt!
FAZIT
Aktuell
Wir werben um Beteiligung, um zu hinterfragen, ob von Seiten der Stadt genug getan wird, um nachzuverdichten anstatt Natur zu überbauen.
Unsere interaktive Karte zu allen einzelnen im neuen Regionalplan zur künftigen Bebauung beantragten Flächen Bielefelds. Auf der Basis von Fachinformationen von Expert:innen des Klima- und Naturschutzes.
Reaktionen aus der Politik im Pressearchiv.
Die Verwaltungsvorlage zur Sitzung des Stadtrates am 18.3.2021, der sich gegen einige Flächen ausgesprochen hat.
Wir danken Ihnen für die knapp 700 Einwendungen, die Sie über diese Seite erstellt haben. Leider wurden diese so gut wie alle von der Bezirksregierung abgelehnt, was viel über die Realität der Bürgerbeteiligung im Land aussagt und was die Naturschutzverbände zum Rückzug aus den Beteiligungsverfahren veranlasst hat.