Verkehr Konzept Wissenschaftsstadt
Was würde das umgesetzte Konzept Wissenschaftsstadt für den Verkehr im Bielefelder Westen und Norden bedeuten?
Da Zwischenbericht und Endbericht sich im Wesentlichen in ihrer Hauptzielrichtung nicht unterscheiden, der Zwischenbericht jedoch mutiger ist, was die Nennung konkreter Zahlen betrifft, beziehen wir uns in der Gliederung auf diesen. Die Arbeitsgruppe Wissenschaftsstadt trifft laut Zwischenbericht in ihrem Strategiekonzept Wissenschaftsstadt folgende Annahmen zum Verkehr in der Stadt Bielefeld 2040:
- Bielefeld sei mit Nachbarstädten und Regionalflughäfen durch ein „’hochmodernes’ Schnellbahnsystem (Geschwindigkeit 300 km/h)“ verbunden.
- Menschen benutzten Car-Sharing, autonom fahrende Autos und das Fahrrad auf Radschnellwegen.
Ideen der AG zur verkehrlichen Erschließung des Campus:
Bis zum Jahr 2025:
- ÖPNV:
- Verbindung der Stadtbahnen Linie 4 und Linie 3 (ggf. über die Voltmannstraße) [Endbericht: Steckbrief 5.01: Handlungsempfehlung bis 2025] und
- Ausbau der existierenden Buslinien (Linie 31 im Zehnminutentakt, Busse aus Jöllenbeck / Babenhausen [Endbericht: Steckbrief 5.02-5.05: Handlungsempfehlung möglichst rasch] und
- Einrichtung einer neuen Buslinie aus Werther in Direktverbindung mit dem Campus) [Endbericht: Steckbrief 5.02-5.05: Prüfauftrag möglichst rasch]
- Fahrradverkehr: Bau von Radschnellwegen aus dem Zentrum zum Campus [Endbericht: Steckbrief 5.10: Handlungsempfehlung möglichst rasch] und einer Zirkellinie über Schildesche [Endbericht: Steckbrief 5.11: Prüfauftrag bis 2025]
- Motorisierter Individualverkehr: Keine Aussage
Weiterhin wird genannt, dass die „Verkehrliche Anbindung“ über die Dürerstraße erfolgt ist [Endbericht: Steckbrief 5.07: Handlungsempfehlung möglichst rasch, Campusanbindung Dürerstraße], was vermutlich alle Verkehrsträger umfasst.
Und es wird angenommen, dass Fahrzeug-Sharing zunehmend zur Regel wird, ggf. unterstützt durch Sharing-Systeme (Pedelecs).
Bis zum Jahr 2050 (Campus reiche ab 2050 bis „weit nach Werther und Steinhagen“):
- Verlängerung der Stadtbahn Linie 4 nach Großdornberg, Werther, Steinhagen und Heepen
- Ausbau von Straßen nach Norden (Zwischenbericht, S. 7)
Wege auf dem Campus
Über die Wege, die auf dem Campus zurückgelegt werden, gibt es Ideen, die eher in den Bereich der science-fiction reichen: so wird sich der Einsatz von Segways und anderen Elektrofahrzeugen vorgestellt oder aber „kreuzungsfreie Laufbänder als Fortbewegungs-Ersatzsysteme“ für den Fußgängerverkehr.
Diese Verkehrssysteme sollen 70.000 Studierende versorgen (Uni: 25.000, FH: 20.000, FHdM: 8.000, der Rest an der FH für öffentliche Verwaltung, FH für Diakonie, der Rest an Hochschulen mit privatem Träger, auch für Weiterbildungs- und Fernstudierende, siehe S.5) - alle Prognosezahlen wurden im Endbericht weggelassen.
Unsere Zweifel an diesen Ideen
Wir fragen uns:
- Wie stellt man sich angesichts der Grundidee eines zentralen Campus die Beförderung von 50.000 bis 70.000 Menschen pro Tag vor - wobei Tausende Mitarbeiter/innen für diese Studierenden noch gar nicht aufgeführt sind - angesichts dessen, dass die Linie 4 heute schon überlastet ist und alle Zubringer- und Nebenstraßen und Wohngebiete heute schon mit Staus und Parkraumnot kämpfen?
- Warum werden keine Überlegungen zum „motorisierten Individualverkehr“ (MIV, d.h. Autos ohne Busse) angestellt? Ist das Thema vielleicht zu konfliktreich?
- Welche Maßnahmen sollen die Menschen dazu bringen, den motorisierten Individualverkehr (ob fossil oder elektrisch) hinter sich zu lassen? Der Neubau eines Campus-Stadtviertels wird nach bestehenden Normen vollzogen, mit allen bekannten Vorgaben für Autoverkehrs- und –abstellflächen, d.h. es würde ein ganz normaler neuer Stadtteil und keineswegs autofrei werden.
- Können die Stadtteile, die den Campus umgeben, v.a. der Bielefelder Westen als Bindeglied zur Innenstadt, aber künftig auch Dornberg, Babenhausen und Schildesche (Jöllenbecker Straße, Westerfeld-, Voltmann-, Babenhauser Straße) den zusätzlichen Verkehr verkraften?
- Bräuchte es nicht (theoretisch) neue oder leistungsfähigere Verbindungsstraßen aus der Innenstadt (mindestens die Verlängerung und den Ausbau der Schloßhofstraße)? Abgesehen davon, dass weder für neue Straßen Platz vorhanden ist, noch der Platz auf den alten Straßen für alle Verkehrsteilnehmer reicht, würde der Straßenausbau die Lebensqualität der Anwohner z.B. durch Lärm, Feinstaub und Platzeinschränkung noch mehr einschränken. Und jeder Straßenzubau löst das Mobilitätsproblem nicht, sondern zieht nur neuen Autoverkehr an.
- Ist nicht schon klar absehbar, dass alle bestehenden Straßen (z.B. die Schloßhofstraße, die Voltmannstraße, vielleicht auch die Werther Straße als letzte Nadelöhre vor dem Campus aus allen Richtungen schnell an ihre Grenze kämen? Bräuchte es nicht weiterhin den Bau einer breiten Bielefelder Nordumgehungsstraße, um das Viertel nach Osten hin z.B. an die Autobahn A2 anzuschließen und um damit Schildesche und die Innenstadt vom Verkehr zu entlasten? Diese Umgehungsstraße müsste durch die unter Naturschutz stehende Johannisbachaue oder in ihrer direkten Nähe gebaut werden.
- Wo soll die Trasse der Verknüpfung der Linie 4 mit der Linie 3 aus Sicht der AG entlang geführt werden? Durch bestehende Wohngebiete oder über noch unbebautes Feld?
Wir fragen uns, ob die Planenden eines zentralen Riesencampus nicht grundsätzliche verkehrspolitische Tatsachen in ihrer Vision vernachlässigen.
Bislang ist es der Stadt Bielefeld nicht im Ansatz gelungen, die Belastung durch den motorisierten Individualverkehr stadtweit zu senken. Bislang gab es außer dem Ausbau der Stadtbahn auch keine ernsthaften Versuche dazu, mit der Folge, dass die Anzahl der Fahrzeuge stetig ansteigt (momentan kommen auf 335.643 Menschen 247.938 Autos! [31.12.2016]). Jedes Jahr kommen 3.000 neue Autos in Bielefeld zusätzlich hinzu (2019)!
Die Wissenschaftsstadt-Campus-Idee geht von der Utopie eines privatautofreien Mobilitätsparadieses aus, in dem die Menschen mit dem Rad, der Bahn oder selbstfahrenden Taxis fahren. Das wäre wünschenswert, braucht aber zur Verwirklichung eine bestimmte städtebauliche Umgebung, damit es funktioniert, nämlich kleinteilige, dezentrale Strukturen, sowie eine entsprechend förderliche Verkehrs- und Siedlungspolitik.
Die Probleme von Großstrukturen kann man schnell ausrechnen: die Utopie strebt einen Modal-Split an, in dem 70% der Menschen den ÖPNV benutzen. Bei einem Radverkehrsanteil von 25% (angestrebt im Jahr 2025, heute sind es 15-19%) und angenommenen 50.000-70.000 Studierenden blieben jedoch immer noch ca. 16.000 MIV-Wege (30% von 52.500 [70.000-17.500]), d.h. 32.000 Autofahrten pro Tag in der rush-hour zu bewältigen, selbstfahrend oder nicht. Vielleicht ein paar weniger, weil nicht alle eingeschriebenen Studierenden täglich zur Uni oder FH fahren werden. Aber Tausende Mitarbeiter der Hochschulen, die mangels Semesterticket und bei höherem Einkommen vermutlich eher mit dem Auto zur Arbeit kommen, sind noch gar nicht mit eingerechnet. Car-Sharing, so es denn überhaupt genutzt würde, löst das Problem nicht - es reduziert zwar erheblich den Parkraumbedarf, nicht aber den Bedarf an Straßen.
Die Hauptfrage ist, ob es, selbst wenn man der Campusidee prinzipiell nicht abgeneigt ist, allein aus verkehrlicher und stadtplanerischer Sicht nicht geboten ist, die Mobilitätsströme aller Verkehrsträger (Straßen, Radwege, verschiedene Bahnlinien) über Bielefeld zu verteilen. Das bedeutete aber, die Idee eines zentralisierten Riesencampus zu verwerfen und, wenn man unbedingt in dem angenommenen Maße wachsen will, stattdessen die Fläche verschiedener Standorte zu nutzen.
Aktuell
Wir werben um Beteiligung, um zu hinterfragen, ob von Seiten der Stadt genug getan wird, um nachzuverdichten anstatt Natur zu überbauen.
Unsere interaktive Karte zu allen einzelnen im neuen Regionalplan zur künftigen Bebauung beantragten Flächen Bielefelds. Auf der Basis von Fachinformationen von Expert:innen des Klima- und Naturschutzes.
Reaktionen aus der Politik im Pressearchiv.
Die Verwaltungsvorlage zur Sitzung des Stadtrates am 18.3.2021, der sich gegen einige Flächen ausgesprochen hat.
Wir danken Ihnen für die knapp 700 Einwendungen, die Sie über diese Seite erstellt haben. Leider wurden diese so gut wie alle von der Bezirksregierung abgelehnt, was viel über die Realität der Bürgerbeteiligung im Land aussagt und was die Naturschutzverbände zum Rückzug aus den Beteiligungsverfahren veranlasst hat.